Heike Ahrendt, Sie sind die leitende Produktmanagerin bei NOMOS Glashütte. Niemand kennt die Antwort besser als Sie: Wann gibt es in Ihrem Unternehmen endlich eine neue Uhr? Jetzt, nach etlichen Monaten Corona, drängt diese Frage viele ganz besonders.

Heike Ahrendt: Na, ein bisschen was Neues gab es ja gerade – mit der Serie Tetra Sinfonie, Ahoi für Ärzte ohne Grenzen und unseren Sondermodellen zu 175 Jahren Glashütter Uhrmacherkunst. Aber es ist natürlich richtig: Nachdem die Frühjahrsmessen nicht stattgefunden haben und weltweit viele Menschen über Wochen hinweg andere Wünsche hatten als neue Uhren, ist 2020 natürlich alles ein bisschen anders, langsamer.

Bei NOMOS Glashütte sind wir allerdings ohnehin ein wenig sparsamer mit dem Neuen, denn zum großen Glück hat NOMOS Glashütte vor allem Klassiker! So gibt es die meisten unserer Uhrenmodelle schon sehr lang, wir kreieren vor allem leicht veränderte Versionen. Trotzdem entwickeln wir uns natürlich weiter. Bei aller Liebe zu unserer 175-jährigen Uhrmachertradition: Wir wollen ja nicht stehenbleiben!

Und da wir eine Manufaktur sind und nicht nur selbst herstellen, sondern auch selbst entwickeln – das heißt also: Wir kaufen keine Werke Dritter ein, sondern bauen alle Kaliber selbst –, können wir Funktion und Qualität selbst beeinflussen und bestimmen. Auch das ist uns wichtig.

Aber nochmals zu den Uhren, denn NOMOS verkauft ja nicht Werke.

H. A.: Natürlich, ja, aber ohne gutes Werk keine gute Uhr! Was neue Uhrenmodelle betrifft, so sind es nicht selten auch Kundenwünsche, auf die wir mit neuen Produkten reagieren: So etwa haben wir zuletzt mit Tangente Sport und Club Sport den lange Jahre wieder und wieder geäußerten Wunsch nach NOMOS-Uhren mit Metallband erhört. Männlich, sportlich, wasserfest, hitzeresistent und ziemlich cool.

Und dann gibt es, anderes Beispiel, immer wieder die Frage: „Welche Uhr zum Schmuck?“ Dafür haben wir Duo erdacht – kleinere Uhren mit nur zwei Zeigern, also ohne Sekunde. Elegante, aber eben doch auch Bauhaus-schlichte Damenuhren, die Stahl und Gold sehr dezent vereinen, die – wie ich finde – sehr gekonnt die Brücke schlagen. Mit Uhren wie der Serie Tetra Sinfonie kommen neue Zifferblattfarben in die Kollektion – diese schönen Damenuhren freuen mich besonders. Denn Farben sorgen dafür, dass man die Uhren wieder ganz neu sieht, und auch Klassiker können mitunter etwas Abwechslung und einen neuen Anstrich vertragen, das ist für mich kein Widerspruch.

Zum Beethovenjahr entwarf das NOMOS-Designteam die Serie Tetra Sinfonie mit den Varianten Unsterbliche Geliebte, Ode an die Freude, Götterfunken und Fidelio (unten, von links).

Gibt es auch besondere Gelegenheiten, zu denen neue Uhren kommen?

H. A.: Ja, klar, sogar jetzt, in Zeiten von Corona. Wir feiern, ich habe es schon erwähnt, im Herbst 175 Jahre Glashütter Uhrmacherkunst – und den Auftakt mit drei Sonderversionen unserer vielleicht klassischsten Uhr, Ludwig. Römische Ziffern, historische Blattzeiger, emailleweißes Zifferblatt, Gehäuse in Taschenuhrform … Zwei sind mit dem NOMOS-neomatik-Werk ausgestattet, also automatisch, eines hat ein Werk mit Handaufzug, und alle drei sind auf jeweils 175 Stück limitiert. Und sie sind, das ist ganz besonders, nach Chronometerwerten reguliert. Und dann kommen noch weitere Neuheiten; hierzu verrate ich aber noch nichts.

Und: Nicht nur 175 Jahre Uhrmacherkunst aus Glashütte sind ein Anlass, für den wir neue Uhren fertigen. Als unser Grundgesetz vergangenes Jahr 70 wurde, gab es etwa Modell Tangente Grundgesetz. Das ist uns wichtig. Denn erst seit die Verfassung der Bundesrepublik auch in unserem ostdeutschen Glashütte gilt, können wir hier arbeiten, wie wir es wollen und richtig finden.

Wenn Sie an Ihre Arbeit denken: Worauf sind Sie besonders stolz?

H. A.: Besonders stolz bin ich und sind wir alle auf unsere für mich noch immer neuen neomatik-Kaliber mit NOMOS-Swing-System, also einem hauseigenen Assortiment: Das erste dieser Werke war 2015 fertig, neomatik-Kaliber DUW 3001, das zweite zwei Jahre später, das automatische Datumswerk DUW 6101.

Automatikkaliber DUW 6101 ist nur 3,6 Millimeter hoch und wird angetrieben vom NOMOS-Swing-System – allein die Entwicklung dieser winzigen Baugruppe hat viele Jahre gebraucht.

H. A.: Im Vergleich zu unserem ersten automatischen NOMOS-Kaliber, das hieß Epsilon und kam zehn Jahre zuvor auf den Markt, sind die neuen neomatik-Werke viel flacher. Denn in diesen zehn Jahren haben sich Technik und Technologie immens weiterentwickelt. Vor allem aber haben auch wir viel geforscht: In unserer eigenen Entwicklungsabteilung und in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut und der Technischen Universität Dresden. Insbesondere im Kontext unseres bereits genannten hauseigenen Assortiments, das bei uns NOMOS-Swing-System heißt. Dieses „Herz der Uhr“ hat uns als Manufaktur technologisch komplett unabhängig gemacht.

Heute sind wir bei NOMOS Glashütte in der Lage, in sehr engen Toleranzen zu fertigen. Der Wirkungsgrad unserer Werke wurde erhöht, Reibungsverluste wurden reduziert. Aber nun spreche ich schon wieder von Kalibern …

Ja, und Sie sind doch die Chefin der neuen Uhren. Also: Wen oder was braucht es alles noch, bis wirklich eine neue Uhr da liegt?

H. A.: Bis neue Produkte am Handgelenk des Kunden sind, dauert es oft Jahre und es braucht viele Menschen und Abteilungen dafür. Von der Idee übers Design geht es zur Abteilung Forschung & Entwicklung. Dann brauchen wir technische Zeichner, Technologen, den Prototypen- und Werkzeugbau, Einkauf, Produktion, Montage, aber auch die kaufmännische Abteilung, die die Arbeit kalkulieren muss. Schließlich das Marketing mit allem Pipapo, der Vertrieb: Bis Sie Ihre Uhr am Handgelenk haben, dauert das also und macht bei uns ganz schön viel Mühe. Aber das ist für mich auch das Schönste, dass wir in unserer Abteilung wie die Spinne im Netz sitzen – vernetzt mit allen anderen Teams.

Wir forschen, entwickeln weiter, immer auf der Suche nach dem nächsten Durchbruch. Hier zu sehen: Konstrukteure Lutz Reichel (links) und Theodor Prenzel.

Ist denn schon mal was richtig doof schief gegangen?

H. A.: Naja: Corona hat uns ausgebremst, wie wohl viele andere auch. Aber meist haben wir tatsächlich das gegenteilige Problem, nämlich Zeitdruck. Irgendwie haben wir es immer geschafft, so richtig schlimme Pannen gab es, jedenfalls soweit ich mich erinnern kann, nicht. Bei der Markteinführung unserer Golduhren Lux und Lambda aber wurden die Gehäuse erst einen Tag vor Start der Messe in Basel fertig – das war etwas unentspannt. Und aus Erzählung weiß ich, dass zwei Tage vor der Pressekonferenz unserer Uhr Zürich Weltzeit eine einstweilige Verfügung ins Haus flatterte: Für die Kennzeichnung der Sommerzeit mit dem Buchstaben S hatte ein – uns unbekannter – Gebrauchsmusterschutz einer Schweizer Firma vorgelegen. Da mussten wir improvisieren.

In welchen Momenten wissen Sie, dass Sie am rechten Platz sind?

H. A.: Natürlich freue ich mich am meisten, wenn die Kunden unsere Uhren kaufen und toll finden. Wenn ich das mitbekomme, bin ich glücklich. Ein bisschen sind diese Uhren ja wie Kinder. Irgendwann lassen wir sie in die Welt – und dann schauen wir aus der Ferne und freuen uns.

Können Sie uns schon ein bisschen das Morgen ins Heute holen, ein Fenster aufstoßen, eine Ahnung geben: Wie geht es weiter?

H. A.: Geheimnisse darf ich nicht verraten. Und wie lange Corona das alte Normal pausieren lässt, weiß ich nicht. Aber: Wir fertigen natürlich weiter beste Uhren. Stück für Stück von Hand, mit Herz – und, wo’s der Präzision dient, auch mit etwas Hightech. Aber größtenteils machen wir unsere Arbeit so, wie es schon immer war, in unserer kleinen, doch weltbekannten Kolonie von Uhrenkennern, in den letzten 175 Jahren. Und diese Tradition tragen wir einfach weiter ins Morgen: im Kern der Geschichte, dem Handwerk, der Verantwortung dieses Ortes verpflichtet, in unserer Haltung weltoffen und zeitgemäß.

An welchen neuen Uhren NOMOS Glashütte derzeit arbeitet, bleibt geheim: abgedeckter Uhrmachertisch in der Manufaktur.

VERÖFFENTLICHUNG: August 2020
TEXT: NOMOS Glashütte
BILDER: NOMOS Glashütte